Alzheimer und Demenz zählen zu jenen Krankheitsentitäten, die bei vielen Menschen Angst hervorrufen, obwohl sie zugleich schlecht verstanden werden. In diesem Artikel sollen die etwas diffusen Thematiken “Demenz” und “Alzheimer” genauer erklärt werden, um anschließend darauf einzugehen, inwiefern Sulforaphan sich positiv auf die zu Grunde liegenden Prozesse auswirken könnte.

Kreuzblütler-Gewächse wie Brokkoli und Kohl, zusammen mit ihren wichtigsten, wertgebenden Inhaltsstoffen, den Isothiozyanaten, werden mit einem reduzierten Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes (1), Herzkreislauf-Erkrankungen (2) und Krebs (3) in Verbindung gebracht. Isothiozyanate entstehen durch das pflanzeneigene Enzym Myrosinase aus einer Gruppe von Vorläufersubstanzen, den Glucosinolaten. Am besten erforschter Vertreter der Isothiozyanate ist das Sulforaphan (4,5).

Die Wirkung von Sulforaphan wird allgemein darauf zurückgeführt, dass es über das Schlüssel-Molekül Nrf2 körpereigene Abwehrprozesse hochreguliert, unter anderem im Rahmen antioxidativer Prozesse der Hemmung von Entzündungen und der Verstoffwechselung körperfremder Substanzen (6).

Sulforaphan kann körpereigene Abwehrmechanismen hochregulieren

Alzheimer beschreibt eine neurodegenerative Erkrankung, die vor über 100 Jahren zum ersten Mal beschrieben wurde. Es handelt sich dabei um die wichtigste Form von Demenz. Demenz ist dabei als Überbegriff für eine ganze Gruppe von Erkrankungen mit kognitivem Abbau zu verstehen. In Deutschland leben schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen mit Demenz, von denen 50 bis 70% an einer Demenz vom Alzheimer-Typ betroffen sind. Andere Demenzformen umfassen unter anderem vaskuläre Demenzen, die frontotemporale Demenz, oder Parkinson-Demenz.

All diesen Erkrankungen ist gemein, dass es aus unterschiedlichsten Gründen zu einer Schädigung und dem Untergang von Nervenzellen und -gewebe kommt.

In der Regel wird dabei zunächst die allgemeine Diagnose einer Demenz gestellt, die dann anhand individueller Charakteristiken als Alzheimer-typisch beschrieben wird. Auf eine exakte Bestimmung der Demenz-Ursache mit Hilfe von aufwendigen, bildgebenden Verfahren, oder der Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit wird dabei abseits der Forschung oft verzichtet, da sie keinen großen Mehrwert für den Patienten bietet (7,8).

Alzheimer ist der häufigste Vertreter der dementiellen Erkrankungen

Der typische Alzheimer-Patient ist 65 Jahre oder älter. Häufigstes Frühsymptom sind Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und dadurch erschwertes Erinnern und Erfassen neuer Informationen. Weitere Symptome umfassen Gedächtnisverlust, reduzierte Problemlöse- und Alltagskompetenz, gestörte örtliche und zeitliche Orientierung, gestörte visuelle und räumliche Wahrnehmung, Wortfindungsstörungen, reduziertes Urteilsvermögen, Verlegen von Gegenständen, Schwierigkeiten beim Rückverfolgen der eigenen Schritte, sozialer Rückzug, Veränderungen von Stimmung und Persönlichkeit bis zu Apathie und Depression, sowie Angst, Agitiertheit und Schlafstörungen. Letztlich werden die Betroffenen meist pflegebedürftig und bettlägerig und versterben in der Folge meist an Lungenentzündungen (7,8).

Wichtige Risikofaktoren von Alzheimer umfassen ein fortgeschrittenes Alter, das Vorkommen von Alzheimer in der Familie, sowie Herzkreislauf-Erkrankungen und dazu führende Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Diabetes und Bluthochdruck. Ebenfalls wichtig sind bestimmte Risiko-Gene wie das APOE4-Gen, welches eigentlich mit dem Fettstoffwechsel in Verbindung steht, aber zugleich aus nicht restlos geklärten Gründen als etablierter Risikofaktor für Alzheimer gilt. Außerdem scheinen ein geringer Bildungsgrad und eine schlechte soziale Einbindung die Entstehung von Alzheimer zu begünstigen.

Beides kann auf die Idee einer “kognitiven Reserve” zurückgeführt werden, wobei ein hoher Grad von kognitiver Aktivität im Verlauf des Lebens zu einer dichteren “Vernetzung” des Gehirns führt, wodurch neuronale Abbauprozesse entsprechend länger brauchen, um in kognitiven Defiziten zu resultieren. In eine ähnliche Richtung bewegt sich die Beobachtung, dass Gehirnerschütterungen das Alzheimer-Risiko erhöhen, wobei es in diesem Fall mechanisch bedingt zu einem verfrühten Untergang von Nervenzellen kommt (7,8).

Die therapeutischen Möglichkeiten bei Alzheimer sind recht ernüchternd, da es sich um rein symptomatische Maßnahmen handelt, die also keinen Einfluss auf das Voranschreiten der Krankheit zu nehmen scheinen. Neben nicht-medikamentösen Maßnahmen wie Pflege, Hilfsmitteln und Psychotherapie beschränkt sich die Therapie auf sogenannte Acetylcholinesterase Hemmer und einen NMDA-Rezeptor-Antagonisten, die letztlich alle die gestörte Signalübertragung zwischen Nervenzellen verbessern (7,8).

Alzheimer wird durch zahlreiche Risikofaktoren begünstigt

Obwohl man verschiedene Risikofaktoren definieren konnte, sind die exakten Mechanismen der Erkrankung nach wie vor unklar. Zwar gibt es einige charakteristische Veränderungen im Gehirn, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden, man kann jedoch nicht sicher sagen, inwieweit diese kausal an der Krankheitsentstehung beteiligt sind. Zu diesen Veränderungen zählen unter anderem:

  • Eine ausgeprägte Größenabnahme des Gehirns (9,10).
  • Eine Ablagerung sogenannter beta-amyloider Plaques außerhalb der Nervenzellen. Dabei handelt es sich um fehlerhaft gespaltene Proteine aus der Membran der Nervenzellen, die aggregieren, sprich “verklumpen” (9,10).
  • Eine Ablagerung von Tau-Fibrillen in den Nervenzellen. Tau ist ein Protein, welches mit dem sogenannten Zytoskelett, einer formgebenden Proteinstruktur in der Zelle, interagiert. Tau wird aus nicht abschließend geklärten Gründen hyperphosphoryliert und lagert sich daraufhin ab (9,10).
  • Eine ausgeprägte Dysfunktion der Mitochondrien, kleine Organellen in der Zelle, die unter anderem für den Energiestoffwechsel verantwortlich sind (11).
  • Entzündungsreaktionen im Gehirn, auch als “Neuroinflammation” bezeichnet (11).
  • Oxidativer Stress, der in direkter Interaktion mit der Neuroinflammation zu stehen scheint (12).
  • Obwohl die Ablagerung von Beta-Amyloid und Tau manchmal noch als Kernmerkmal von Alzheimer genannt werden, ist die kausale Rolle dieser Veränderungen mittlerweile umstritten, da Therapien, die versucht haben, durch unmittelbare, pharmakologische Beseitigung dieser Proteine die Erkrankung zu bekämpfen, zu keinem Erfolg geführt haben (9).

Alzheimer geht mit einer Vielzahl krankhafter Prozesse im Gehirn einher

Im Alzheimer-Gehirn kommt es zur Ablagerung schädlicher Proteine, Entzündungsreaktionen und einer Störung der Mitochondrien-Funktion. Sulforaphan gilt als vielversprechender Kandidat, wenn es darum geht, den pathologischen Prozessen bei Alzheimer entgegenzuwirken. Wobei man hier sehr vorsichtig mit seinen Erwartungshaltungen sein muss: Zum aktuellen Zeitpunkt beruhen alle Erkenntnisse zum Einfluss von Sulforaphan auf Alzheimer auf vorklinischen Studien an Zellen und Tieren, wobei eine erste Human-Studie mit 160 Probanden geplant ist (NCT04213391).

Außerdem muss man sich vergegenwärtigen, dass die zuvor genannten, pathologischen Veränderungen bereits Jahre, oder sogar Jahrzehnte vor der Manifestation der eigentlichen Symptome beginnen. Wenn die Erkrankung erst mal symptomatisch wird, liegt bereits ein ausgeprägter Schaden vor, der im eigentlichen Sinne nicht mehr “geheilt” werden wird.

Wenn man also vom therapeutischen Potenzial von Sulforaphan spricht, sollte man darin eher eine Möglichkeit zum präventiven Einsatz vor Ausbruch der Erkrankung sehen.

Diesen wichtigen Einschränkungen zum Trotz, kann man sagen, dass die bisherigen, vorklinischen Studienergebnisse durchaus vielversprechend sind:

  • Sulforaphan steigert im Nervengewebe die Konzentration der antioxidativen Enzyme Glutathion und Superoxid-Dismutase und senkt passend dazu die Konzentration von Markern für oxidativen Stress. Zugleich reduziert es die Konzentration von Entzündungsmarkern im Gehirn.
  • Sulforaphan steigert die Konzentration von “brain-derived-neurotrophic-factor“, kurz BDNF. Dabei handelt es sich um einen neuronalen Wachstumsfaktor, der bei Alzheimer erniedrigt ist.
  • Sulforaphan reduziert die Spaltung des Membran-Proteins APP zu beta-amyloiden Plaques durch direkte Hemmung der beteiligten Enzyme und eine reduzierte Bildung dieser Enzyme.
  • Sulforaphan steigert die Konzentration von Molekülen, die zum Abbau von Beta-Amyloid und Tau beitragen.
  • Sulforaphan wirkt der Zusammenlagerung von Beta-Amyloid und der Hyperphosphorylierung von Tau entgegen.

Neben diesen mechanistischen Beobachtungen konnte durch die Gabe von Sulforaphan in mindestens 6 Studien an Ratten oder Mäusen eine Verbesserung der kognitiven Leistung dokumentiert werden, wobei unklar ist, ob eine oder mehrere der oben genannten Wirkungen dafür verantwortlich waren (13).

Fazit

Sulforaphan ist ein vielversprechender Kandidat, wenn es darum geht, der Entstehung von Alzheimer entgegenzuwirken. In Ermangelung von Human-Studien ist man jedoch aktuell noch weit entfernt von einer therapeutischen Anwendungsempfehlung.

Quellen

  1. Jia, X., Zhong, L., Song, Y., Hu, Y., Wang, G., & Sun, S. (2016). Consumption of citrus and cruciferous vegetables with incident type 2 diabetes mellitus based on a meta-analysis of prospective study. Primary Care Diabetes, 10(4), 272–280.
  2. Zurbau, A., Au-Yeung, F., Blanco Mejia, S., Khan, T. A., Vuksan, V., Jovanovski, E., Leiter, L. A., Kendall, C. W. C., Jenkins, D. J. A., & Sievenpiper, J. L. (2020). Relation of Different Fruit and Vegetable Sources With Incident Cardiovascular Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis of Prospective Cohort Studies. Journal of the American Heart Association, 9(19), e017728.
  3. Aune, D., Giovannucci, E., Boffetta, P., Fadnes, L. T., Keum, N., Norat, T., Greenwood, D. C., Riboli, E., Vatten, L. J., & Tonstad, S. (2017). Fruit and vegetable intake and the risk of cardiovascular disease, total cancer and all-cause mortality-a systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies. International Journal of Epidemiology, 46(3), 1029–1056.
  4. Marino, M., Martini, D., Venturi, S., Tucci, M., Porrini, M., Riso, P., & Del Bo’, C. (2021). An Overview of Registered Clinical Trials on Glucosinolates and Human Health: The Current Situation. Frontiers in Nutrition, 8, 730906.
  5. Connolly, E. L., Sim, M., Travica, N., Marx, W., Beasy, G., Lynch, G. S., Bondonno, C. P., Lewis, J. R., Hodgson, J. M., & Blekkenhorst, L. C. (2021). Glucosinolates From Cruciferous Vegetables and Their Potential Role in Chronic Disease: Investigating the Preclinical and Clinical Evidence. Frontiers in Pharmacology, 12, 767975.
  6. Houghton, C. A. (2019). Sulforaphane: Its “Coming of Age” as a Clinically Relevant Nutraceutical in the Prevention and Treatment of Chronic Disease. In Oxidative Medicine and Cellular Longevity.
  7. Gaugler, J., James, B., Johnson, T., Scholz, K., & Weuve, J. (2016). 2016 Alzheimer’s disease facts and figures. Alzheimer’s and Dementia. 1
  8. S3-Leitlinie „Demenzen“: Langversion (Januar 2016) (abgerufen 02.05.2022) https://web.archive.org/web/20220715043919/https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf
  9. Fan, L., Mao, C., Hu, X., Zhang, S., Yang, Z., Hu, Z., Sun, H., Fan, Y., Dong, Y., Yang, J., Shi, C., & Xu, Y. (2019). New Insights Into the Pathogenesis of Alzheimer’s Disease. Frontiers in Neurology, 10, 1312.
  10. Sengoku, R. (2020). Aging and Alzheimer’s disease pathology. Neuropathology: Official Journal of the Japanese Society of Neuropathology, 40(1), 22–29.
  11. Wilkins, H. M., & Swerdlow, R. H. (2016). Relationships Between Mitochondria and Neuroinflammation: Implications for Alzheimer’s Disease. Current Topics in Medicinal Chemistry, 16(8), 849–857.
  12. Ganguly, U., Kaur, U., Chakrabarti, S. S., Sharma, P., Agrawal, B. K., Saso, L., & Chakrabarti, S. (2021). Oxidative Stress, Neuroinflammation, and NADPH Oxidase: Implications in the Pathogenesis and Treatment of Alzheimer’s Disease. Oxidative Medicine and Cellular Longevity, 2021, 7086512.
  13. Kim, J. (2021). Pre-Clinical Neuroprotective Evidences and Plausible Mechanisms of Sulforaphane in Alzheimer’s Disease. International Journal of Molecular Sciences, 22(6).