Ein schwieriges Thema im Kontext des gesundheitlichen Nutzens von Brokkoli und Sulforaphan – sowohl aus wissenschaftlicher, als auch moralisch-ethischer Sicht – ist der mögliche Einfluss auf die Entstehung und das Fortschreiten von Krebserkrankungen.  In diesem Artikel sollen die Hintergründe und bisherigen Studienergebnisse zu diesem Thema eingehend erläutert werden. 

Sulforaphan gilt als wertgebender Inhaltsstoff im Brokkoli und einer der wichtigsten Gründe für den gesundheitlichen Nutzen dieses Gemüses. Es handelt sich dabei um ein schwefelhaltiges Molekül, ein sogenanntes Isothiocyanat, deren Vorläufer, die sogenannten Glucosinolate, in Kreuzblütlern, also allen Kohlsorten, Senf und Rettich vorkommen. Wird roher Brokkoli zerkaut, kommen die Glucosinolate in Kontakt mit dem Pflanzen-Enzym Myrosinase und werden zu Isothiocyanate umgewandelt (1).

Der gesundheitliche Nutzen von Kreuzblütlern zeigt sich vor allem in zahlreichen, sogenannten epidemiologischen Studien, in denen der statistische Zusammenhang des Verzehrs von Kreuzblütlern mit der Entstehung von Krankheiten untersucht wird. Neben einer Reduktion der Wahrscheinlichkeit von Diabetes mellitus (2) und Herzkreislauf-Erkrankungen (3) wird der Verzehr von Kreuzblütlern vor allem mit einer Reduktion des Krebsrisikos in Verbindung gebracht: Neben einer Reduktion des Gesamt-Krebsrisikos (4) kann man unter anderem einen protektiven Einfluss auf die Entstehung von Prostata- (5), Magen- (6), Brust- (7), Nieren- (8), Dickdarm- (9), Bauchspeicheldrüsen- (10), Eierstock- (11) und Lungen-Krebs (12), sowie maligne Erkrankungen des blutbildenden Systems (13) beobachten. 

Der Verzehr von Kreuzblütlern reduziert das Risiko verschiedener Krebs-Arten 

Krebserkrankungen gelten als zweithäufigste Todesursache in Europa. Im Allgemeinen versteht man unter diesem Begriff ein unkontrolliertes, enthemmtes Wachstum von körpereigenen Zellen, die mit der Zeit ein tumoröses Geschwür bilden. Von diesem können sich schließlich einzelne Zellen ablösen, mit dem Blut oder der Lymphe ausgestreut werden und schließlich in anderen Organen Metastasen bilden. Diese führen dann typischerweise durch ihr lokales Wachstum zu einer Störung der Funktion lebenswichtiger Organe und darüber zum Tod (14)

Bei der Entstehung von Krebserkrankungen spielen Mutationen, also Veränderungen des Erbguts, eine entscheidende Rolle. Das Erbgut, also die DNA, dient als Code für die Produktion von Proteinen, die dann als Baustein für alle zellulären Prozesse genutzt werden. Kommt es zu Veränderungen in diesem Prozess, z.B. durch mutagene Einflüsse wie Rauchen, kann sich die Funktion einer Zelle grundlegend ändern. Dieser Krankheitsprozess wird typischerweise in einem dreistufigen Modell schematisiert: 

  • Initiierung: Zunächst löst ein krebserregender Stoff eine Mutation in einem Schlüsselgen aus. Diese Gene hemmen entweder unkontrolliertes Wachstum und verlieren nun ihre Funktion (Tumorsuppressorgene), oder regulieren Wachstum und werden durch die Mutation in ihrer Aktivität gesteigert (Onkogene). 
  • Promotion: Nach der initialen Mutation kommen weitere Mutationen hinzu, ggfs. wieder begünstigt durch krebserregende Substanzen. Dadurch gerät die Wachstumsregulation immer mehr außer Kontrolle. Zugleich können begünstigende Faktoren wie chronische Entzündungen durch Freisetzung von Wachstumsfaktoren den Prozess beschleunigen. Der primäre Tumor bleibt aber noch eine kompakte Masse. 
  • Progression: Es kommt zur Metastasierung, indem einzelne Zellen sich absetzen und über Blut oder Lymphe in andere Körperregionen abtransportiert werden. Die dort entstehenden Metastasen führen dann typischerweise zu lebenslimitierenden Organdysfunktionen (14)

Krebs basiert auf Mutationen, die zu unkontrolliertem Gewebewachstum führen

Was Sulforaphan nun besonders interessant für das Thema Krebs macht, ist die Tatsache, dass es potenziell an allen drei Stufen dieses Prozesses ansetzen könnte: 

  • Sulforaphan hemmt sogenannte Phase-1-Enzyme des Fremdstoffmetabolismus. Diese Enzyme sind, wie es der Name schon suggeriert, beteiligt an der Verstoffwechselung von körperfremden Substanzen. Da dieser Prozess jedoch recht ungezielt abläuft, kommt es vor, dass diese Enzyme potenziell unschädliche Substanzen (sogenannte Pro-Karzinogene) erst zu tatsächlich krebserregenden Stoffen umwandeln. Indem Sulforaphan diesen Vorgang hemmt, kann der Initiierungs-Stufe der Krebsentstehung entgegengewirkt werden. 
  • Sulforaphan aktiviert außerdem auch Phase-2-Enzyme des Fremdstoffmetabolismus. Dadurch können tatsächlich krebserregende Stoffe effektiver ausgeschieden werden, bevor sie sich an der Initiierung beteiligen können. 
  • Sulforaphan kann darüber hinaus direkt das Wachstum von Krebszellen hemmen, den programmierten Zelltod (Apoptose) von Krebszellen fördern und die Autophagie, eine Art zelluläre Selbstverdauung fördern, sowie Entzündungen hemmen. Auf diesem Weg werden verschiedene, an der Promotion beteiligte Prozesse gehemmt. 
  • Und nicht zuletzt kann Sulforaphan Wachstumsfaktoren für das Einsprossen von Gefäßen in den Tumor, sowie Enzyme, die für die Metastasierung notwendig sind, hemmen – beides zentrale Mechanismen der Progressions-Stufe. 
  • Hinzu kommt, dass Sulforaphan zu den Substanzen zählt, die sogenannte Krebs-Stammzellen bekämpfen können, die unter anderem mit Rezidiven nach erfolgreicher Therapie in Verbindung gebracht werden (14)

Bedeutet das nun, dass Sulforaphan ein potenzielles “Krebsmedikament” ist? Zum jetzigen Zeitpunkt eher nicht. Zum einen handelt es sich bei den genannten Ergebnissen primär um vorklinische Studien, die also nicht am Menschen durchgeführt wurden und insofern auch nur eine limitierte Aussagekraft haben. Zum anderen muss man das korrekte mechanistische Verständnis für Krebsentstehung, Krebstherapie und die Wirkung von Sulforaphan an den Tag legen.

Die zuvor beschriebene Entstehung von Krebs ist ein Prozess, der sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinziehen kann. Im Grunde handelt es sich um einen Vorgang, der in seinen frühen Stufen permanent stattfindet und sich dabei in einem Gleichgewicht mit protektiven Einflüssen befindet. Verschiebt sich das Gleichgewicht zum Schlechten, kann die Krankheit sich langsam und mit zunehmender Geschwindigkeit weiterentwickeln, bis man das Ganze Jahre später als klinisch manifesten “Krebs” entdeckt (14).

Wird nun Sulforaphan oder werden Kreuzblütler über Jahre, besser Jahrzehnte hinweg eingenommen, kann man davon ausgehen, dass die zuvor geschilderte Balance zum Positiven hin verschoben wird – ein protektiver Nutzen, der sich auch in den epidemiologischen Ergebnissen niederschlägt (4-13).

Dieser Nutzen ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer therapeutischen Anwendung bei bereits manifester Krebserkrankung. In diesem Fall hatte der Tumor Jahre Zeit, sich zu entwickeln und Abwehr- und Überlebensmechanismen zu entwickeln, wodurch er sich den protektiven Einflüssen bereits lange weitestgehend entzogen hat.

Nicht umsonst sind die therapeutischen Möglichkeiten in der Onkologie radikal: Man entfernt den Tumor operativ oder nutzt den destruktiven Einfluss von toxischen Substanzen in der Chemotherapie bzw. Strahlung, um die sich schnell teilenden Krebszellen zu zerstören (15). In diesem fortgeschrittenen Zustand zu hoffen, durch den Rückgriff auf protektive Einflüsse der Krankheit noch entscheidend entgegenzuwirken, kann gefährlich und fahrlässig sein.

Sulforaphan kann Krebs präventiv entgegenwirken

Dieser protektive Einfluss auf die Entstehung von Krebs kann auch anhand von klinischen Studien nachverfolgt werden. So konnte man in diversen Arbeiten demonstrieren, dass Sulforaphan erfolgreich zum Schutz vor toxischen und krebserregenden Substanzen in der Atemluft eingesetzt werden konnte, indem es eben die Verstoffwechselung und Ausscheidung dieser sogenannten Noxen erleichtert (16-19). Außerdem konnte ein hemmender Einfluss von Sulforaphan auf das Bakterium Helicobacter pylori nachgewiesen werden, welches Magenschleimhautentzündungen und darüber Magenkrebs verursacht (20). Und nicht zuletzt konnte bei Patienten mit Prostata-Krebs auf zellulärer Ebene ein positiver Einfluss auf Krebs-modulierende Stoffwechselwege und die Gen-Expression gezeigt werden (21-23). Diese Ergebnisse unterstreichen den protektiven, modulierenden Nutzen von Kreuzblütlern und Sulforaphan. Sie machen aber ebenfalls erneut deutlich, dass man von einer therapeutischen Anwendung bei manifester Tumorerkrankung im eigentlichen Sinne noch weit entfernt ist. 

Fazit

Sulforaphan kann der Entstehung von Krebs durch verschiedenste Mechanismen entgegenwirken. Dieser präventive Einfluss zeigt sich in zahlreichen epidemiologischen Studien zur Risiko-Reduktion durch Kreuzblütler. Nichtsdestotrotz sollte Sulforaphan nicht anstelle konventioneller Krebstherapien Anwendung finden. 

Quellen

  1. Marino, M., Martini, D., Venturi, S., Tucci, M., Porrini, M., Riso, P., & Del Bo’, C. (2021). An Overview of Registered Clinical Trials on Glucosinolates and Human Health: The Current Situation. Frontiers in Nutrition, 8, 730906. 
  2. Jia, X., Zhong, L., Song, Y., Hu, Y., Wang, G., & Sun, S. (2016). Consumption of citrus and cruciferous vegetables with incident type 2 diabetes mellitus based on a meta-analysis of prospective study. Primary Care Diabetes, 10(4), 272–280. 
  3. Zurbau, A., Au-Yeung, F., Blanco Mejia, S., Khan, T. A., Vuksan, V., Jovanovski, E., Leiter, L. A., Kendall, C. W. C., Jenkins, D. J. A., & Sievenpiper, J. L. (2020). Relation of Different Fruit and Vegetable Sources With Incident Cardiovascular Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis of Prospective Cohort Studies. Journal of the American Heart Association, 9(19), e017728. 
  4. Aune, D., Giovannucci, E., Boffetta, P., Fadnes, L. T., Keum, N., Norat, T., Greenwood, D. C., Riboli, E., Vatten, L. J., & Tonstad, S. (2017). Fruit and vegetable intake and the risk of cardiovascular disease, total cancer and all-cause mortality-a systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies. International Journal of Epidemiology, 46(3), 1029–1056. 
  5. Liu, B., Mao, Q., Cao, M., & Xie, L. (2012). Cruciferous vegetables intake and risk of prostate cancer: a meta-analysis. International Journal of Urology : Official Journal of the Japanese Urological  Association, 19(2), 134–141. 
  6. Wu, Q.-J., Yang, Y., Wang, J., Han, L.-H., & Xiang, Y.-B. (2013). Cruciferous vegetable consumption and gastric cancer risk: a meta-analysis of epidemiological studies. Cancer Science, 104(8), 1067–1073. 
  7. Liu, X., & Lv, K. (2013). Cruciferous vegetables intake is inversely associated with risk of breast cancer: a meta-analysis. Breast (Edinburgh, Scotland), 22(3), 309–313. 
  8. Zhao, J., & Zhao, L. (2013). Cruciferous vegetables intake is associated with lower risk of renal cell carcinoma:  evidence from a meta-analysis of observational studies. PloS One, 8(10), e75732. 
  9. Tse, G., & Eslick, G. D. (2014). Cruciferous vegetables and risk of colorectal neoplasms: a systematic review and meta-analysis. Nutrition and Cancer, 66(1), 128–139. 
  10. Li, L., Luo, Y., Lu, M., Xu, X., Lin, H., & Zheng, Z. (2015). Cruciferous vegetable consumption and the risk of pancreatic cancer: a meta-analysis. World Journal of Surgical Oncology, 13, 44. 
  11. Hu, J., Hu, Y., Hu, Y., & Zheng, S. (2015). Intake of cruciferous vegetables is associated with reduced risk of ovarian cancer:  a meta-analysis. Asia Pacific Journal of Clinical Nutrition, 24(1), 101–109. 
  12. Zhang, Z., Bergan, R., Shannon, J., Slatore, C. G., Bobe, G., & Takata, Y. (2018). The Role of Cruciferous Vegetables and Isothiocyanates for Lung Cancer Prevention:  Current Status, Challenges, and Future Research Directions. Molecular Nutrition & Food Research, 62(18), e1700936. 
  13. Sergentanis, T. N., Psaltopoulou, T., Ntanasis-Stathopoulos, I., Liaskas, A., Tzanninis, I.-G., & Dimopoulos, M.-A. (2018). Consumption of fruits, vegetables, and risk of hematological malignancies: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. Leukemia & Lymphoma, 59(2), 434–447. 
  14. Elkashty, O. A., & Tran, S. D. (2021). Sulforaphane as a Promising Natural Molecule for Cancer Prevention and Treatment. Current Medical Science, 41(2), 250–269. 
  15. Rodrigues, D. S., & de Arruda Mancera, P. F. (2013). Mathematical analysis and simulations involving chemotherapy and surgery on large human tumours under a suitable cell-kill functional response. Mathematical Biosciences and Engineering: MBE, 10(1), 221–234. 
  16. Riedl, M. A., Saxon, A., & Diaz-Sanchez, D. (2009). Oral sulforaphane increases Phase II antioxidant enzymes in the human upper airway. Clinical Immunology (Orlando, Fla.), 130(3), 244–251. 
  17. Riso, P., Martini, D., Møller, P., Loft, S., Bonacina, G., Moro, M., & Porrini, M. (2010). DNA damage and repair activity after broccoli intake in young healthy smokers. Mutagenesis, 25(6), 595–602. 
  18. Kensler, T. W., Ng, D., Carmella, S. G., Chen, M., Jacobson, L. P., Munoz, A., Egner, P. A., Chen, J. G., Qian, G. S., Chen, T. Y., Fahey, J. W., Talalay, P., Groopman, J. D., Yuan, J.-M., & Hecht, S. S. (2012). Modulation of the metabolism of airborne pollutants by glucoraphanin-rich and sulforaphane-rich broccoli sprout beverages in Qidong, China. Carcinogenesis, 33(1), 101–107. 
  19. Chen, J.-G., Johnson, J., Egner, P., Ng, D., Zhu, J., Wang, J.-B., Xue, X.-F., Sun, Y., Zhang, Y.-H., Lu, L.-L., Chen, Y.-S., Wu, Y., Zhu, Y.-R., Carmella, S., Hecht, S., Jacobson, L., Muñoz, A., Kensler, K., Rule, A., … Groopman, J. (2019). Dose-dependent detoxication of the airborne pollutant benzene in a randomized trial of broccoli sprout beverage in Qidong, China. The American Journal of Clinical Nutrition, 110(3), 675–684. 
  20. Yanaka, A. (2017). Role of Sulforaphane in Protection of Gastrointestinal Tract Against H. pylori and NSAID-Induced Oxidative Stress. Current Pharmaceutical Design, 23(27), 4066–4075. 
  21. Traka, M., Gasper, A. V, Melchini, A., Bacon, J. R., Needs, P. W., Frost, V., Chantry, A., Jones, A. M. E., Ortori, C. A., Barrett, D. A., Ball, R. Y., Mills, R. D., & Mithen, R. F. (2008). Broccoli consumption interacts with GSTM1 to perturb oncogenic signalling pathways in the prostate. PloS One, 3(7), e2568. 
  22. Cipolla, B. G., Mandron, E., Lefort, J. M., Coadou, Y., Della Negra, E., Corbel, L., Le Scodan, R., Azzouzi, A. R., & Mottet, N. (2015). Effect of Sulforaphane in Men with Biochemical Recurrence after Radical Prostatectomy. Cancer Prevention Research (Philadelphia, Pa.), 8(8), 712–719. 
  23. Traka, M. H., Melchini, A., Coode-Bate, J., Kadhi, O. Al, Saha, S., Defernez, M., Troncoso-Rey, P., Kibblewhite, H., O’Neill, C. M., Bernuzzi, F., Mythen, L., Hughes, J., Needs, P. W., Dainty, J. R., Savva, G. M., Mills, R. D., Ball, R. Y., Cooper, C. S., & Mithen, R. F. (2019). Transcriptional changes in prostate of men on active surveillance after a 12-mo glucoraphanin-rich broccoli intervention-results from the Effect of Sulforaphane on prostate CAncer PrEvention (ESCAPE) randomized controlled trial. American Journal of Clinical Nutrition.