Autismus gehört sicher nicht zu jenen medizinischen Problemen, die man als Erstes mit Ernährungsinterventionen in Verbindung bringt. Nichtsdestotrotz existiert ein substanzielles Interesse an der möglichen Anwendung von Sulforaphan bei dieser komplexen Entwicklungsstörung. Was es damit auf sich hat und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es in diesem Kontext tatsächlich gibt, soll in diesem Artikel beleuchtet werden.
Kreuzblütler wie Brokkoli, Blumenkohl, Senf, oder Rettich haben unzweifelhaft ihre Daseinsberechtigung im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung, reduzieren sie doch das Risiko zahlreicher chronischer Erkrankungen wie Diabetes (1), Herzkreislauf-Erkrankungen (2) und diverser Krebsarten (3-10). Dieser positive Einfluss auf die Gesundheit wird den sogenannten Isothiozyanaten zugeschrieben, schwefelhaltigen Molekülen, die beim Kauen durch das Enzym Myrosinase aus sogenannten Glucosinolaten entstehen. Der wichtigste und am besten erforschte Vertreter dieser Isothiozyanate ist das Sulforaphan aus Brokkoli (11,12).
Der Grund für das besondere Interesse an Sulforaphan im Kontext von Autismus ist dabei die spezielle Wirkungsweise des Isothiozyanats. Tatsächlich wirkt Sulforaphan nämlich als ein sogenanntes indirektes Antioxidans. Das bedeutet, dass es in menschlichen Zellen die Bildung körpereigener, antioxidativer Enzyme wie Superoxid-Dismutase, Katalase und vor allem Glutathion begünstigt. Diese können daraufhin sogenannte freie Radikale, also hochreaktive, potenziell schädliche Sauerstoffmoleküle neutralisieren. Das unterscheidet Sulforaphan von direkten Antioxidantien wie zum Beispiel Vitamin C, dass unmittelbar mit den Radikalen reagiert. Darüber hinaus beeinflusst Sulforaphan ebenfalls über indirekte Mechanismen auch die Regulation von Entzündungen und die Verstoffwechselung von Fremdstoffen (13).
Sulforaphan fördert die körpereigene, antioxidative Abwehr
Gerade im Fall von Autismus ist es nun wichtig, zunächst ein besseres Verständnis für die Erkrankung zu schaffen. Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine komplexe, sehr variable und in hohem Maße erbliche Störung der frühen, neuronalen Entwicklung, deren Ursachen nicht abschließend geklärt sind. Als entscheidende Merkmale gelten dabei eine gestörte soziale Kommunikation und Interaktion, repetitives Verhalten im Sinne von gleichförmigen, motorischen Bewegungen und ritualisiertem Verhalten, sowie eine unterschiedlich ausgeprägte Minderung der kognitiven Fähigkeiten. Weitere typische Merkmale umfassen begleitende Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen, Angst vor Veränderung, Depression und Epilepsie.
Der Begriff Autismus beschreibt dabei auch allgemein eher die “Autismus-Spektrum-Störungen”, eine Untergruppe der “tiefgreifenden Entwicklungsstörungen”. Fixe Diagnosen, die im deutschsprachigen Raum den Autismus-Spektrum-Störungen zugeordnet werden, wären vor allem der frühkindliche Autismus, der atypische Autismus und das Asperger-Syndrom. Dabei entspricht der frühkindliche Autismus am ehesten dem “klassischen” Bild dieser Erkrankung in der allgemeinen Wahrnehmung, während das Asperger-Syndrom eher durch Störungen der Empathie, spezielle Sonderinteressen und normale bis hohe Intelligenz gekennzeichnet ist.
Man geht davon aus, dass weltweit ca. 1% der Menschen von einer Art von Autismus betroffen sind, mit etwas mehr Männern als Frauen. Die Diagnosestellung erfolgt anhand der Symptome und erfordert eine ausgiebige Beobachtung des Verhaltens der betroffenen Kinder durch Eltern und Therapeuten. Bei der Therapie gilt ein früher Beginn als essenziell, wobei hier vor allem Verhaltenstherapie, Elternberatung, soziales Kompetenztraining der Kinder und das Schaffen klarer und bleibender sozialer Strukturen eine wichtige Rolle spielen.
Was die Ursachen und Mechanismen der Erkrankung angeht, existieren zahllose Theorien, die im Laufe der Zeit entstanden sind und teilweise auch wieder verworfen wurden. Eine klare Kausalkette konnte dabei jedoch bis heute nicht definiert werden. Mögliche Risikofaktoren umfassen ein hohes Alter der Eltern, Geburtstraumata mit Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, Übergewicht der Mutter, kurze Zeitintervalle zwischen zwei Schwangerschaften, Schwangerschaftsdiabetes, Kaiserschnitt-Geburt und viele mehr. Diesen Faktoren ist allen gemein, dass sie zwar eine Assoziation zu Autismus zeigen, dadurch aber noch nicht als kausal betrachtet werden können.
Grundsätzlich scheint die Genetik eine große Rolle bei der Krankheitsentstehung zu spielen, wobei zahlreiche involvierte Gene identifiziert wurden. Bildgebende Maßnahmen des Gehirns und elektrophysiologische Diagnostik konnten weitere Hinweise auf die Mechanismen der Erkrankung liefern, ohne sie abschließend zu entschlüsseln. So konnte man zeigen, dass Veränderungen im Gehirn bereits vor dem Auftreten typischer Symptome vorliegen und dass unter anderem Hirnareale betroffen sind, die an der Verarbeitung mimischer, emotionaler Reaktionen beteiligt sind. Darüber hinaus scheint die Verarbeitung sensorischer Einflüsse wie Licht und Geräusche verändert zu sein, was zu typischen Merkmalen der Erkrankung, wie einer gestörten Sprachentwicklung und Schwierigkeiten beim Erkennen von Emotionen passen würde (14).
Autismus – komplexe Entwicklungsstörungen
Der potenzielle Nutzen von Sulforaphan bei Autismus wird deutlich, wenn man etwas näher auf die biochemische Ebene der Erkrankung eingeht. So wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Prozesse mit der Entstehung und dem Fortschreiten von Autismus in Verbindung gebracht, die durch Sulforaphan beeinflusst werden können. Dazu zählen unter anderem neuronale Entzündungsprozesse (15), eine gestörte Funktion der Mitochondrien (16) und vor allem auch oxidativer Stress (17).
Speziell der indirekte, antioxidative Charakter von Sulforaphan ist in diesem Kontext von besonderer Bedeutung, da es bei Autismus nicht nur zu einem erhöhten Aufkommen von freien Radikalen kommt, sondern auch ganz konkret zu einer Störung der antioxidativen Funktion von Glutathion. Dadurch kann es wiederum unter anderem zu einer Begünstigung entzündlicher Prozesse und einer gestörten Mitochondrien-Funktion mit konsekutivem Untergang von Neuronen kommen. Das räumt der Störung des Glutathion-Stoffwechsels eine potenziell zentrale Rolle im Krankheitsprozess von Autismus ein (17). Sulforaphan wiederum könnte demnach auf verschiedenen Ebenen modulierend auf die zu Grunde liegenden Mechanismen wirken (18).
Die körpereigene, antioxidative Abwehr ist bei Autismus gestört
Tatsächlich konnten mittlerweile mehrere Studien den potenziellen Nutzen von Sulforaphan mit ihren Ergebnissen untermauern. Dazu demonstrierte zunächst eine Arbeitsgruppe, dass die Einnahme von Sulforaphan zu einem Anstieg der Glutathion-Konzentration im Blut und vor allem auch im Gehirn führt. Das ist insofern wichtig, da nicht jede Substanz selbstverständlich die sogenannte Blut-Hirn-Schranke überwinden und auch wirklich eine Wirkung auf das zentrale Nervensystem entfalten kann (19).
Weitere Studien konkret an Patienten mit Autismus kamen dann ebenfalls zu positiven Ergebnissen: In einer Studie konnte man zeigen, dass es durch die Einnahme von Sulforaphan über 18 Wochen bei jungen Männern mit Autismus-Spektrum-Störung gegenüber einem Placebo zu einer signifikanten Verbesserung verschiedener Symptom-Scores kam (20). Einige Jahre später konnte eine andere Arbeitsgruppe diese Ergebnisse reproduzieren und zusätzlich biochemisch weiter untermauern: Dazu führten sie eine sogenannte metabolomische Urin-Analyse durch, in der sie alle mit dem Urin ausgeschiedenen Stoffe quantifizierten und nach Korrelationen zu den Veränderungen der Symptome suchten. Dabei konnten sie 77 Metaboliten identifizieren, die unter anderem mit oxidativem Stress, Neurotransmission und dem Stoffwechsel bestimmter, für das Nervensystem wichtiger Fette in Verbindung stehen (21). 2020 und 2021 wurde dieser positive Einfluss von Sulforaphan dann noch zweimal in randomisierten, kontrollierten Studien nachgewiesen, wobei man auch einen Nutzen der kombinierten Gabe von Sulforaphan und einem antipsychotischen Neuroleptikum zeigen konnte (22,23).
Ein Review, der die existierenden Ergebnisse zusammenfasst, kam dann auch zu dem Schluss, dass Sulforaphan sicher und effektiv in der Anwendung ist und betonte außerdem, dass mehrere Probanden die Einnahme von Sulforaphan aus eigenem Antrieb auch drei Jahre nach Beendigung der Studie fortgesetzt hatten. (24)
Fazit
Sulforaphan ist zwar sicherlich kein “Heilmittel” gegen Autismus, es gibt jedoch eine solide wissenschaftliche Grundlage für den Nutzen im Rahmen der symptomatischen Therapie. Eine begleitende Einnahme zusätzlich zur normalen Therapie kann daher, auch angesichts des allgemeinen Nutzens für die Gesundheit (1-10), durchaus erwogen werden.
Quellen
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