Sulforaphan und Krebs: Was die Forschung wirklich zeigt

Sulforaphan und Krebs: Was die Forschung wirklich zeigt

Sulforaphan ist ein sekundärer Pflanzenstoff aus der Gruppe der Isothiocyanate, der besonders reichlich in Kreuzblütlern vorkommt – allen voran im Brokkoli. Es entsteht beim Zerkleinern oder Kauen aus der Vorstufe Glucoraphanin durch das Enzym Myrosinase. Seit über zwei Jahrzehnten steht Sulforaphan im Fokus präklinischer und klinischer Forschung – vor allem wegen seines Potenzials, zelluläre Schutzsysteme zu aktivieren und karzinogene Prozesse zu hemmen.

Seine Besonderheit liegt in der Aktivierung des Transkriptionsfaktors Nrf2 (nuclear factor erythroid 2–related factor 2). Dieser reguliert eine Vielzahl zellschützender Gene – insbesondere solche, die Phase-II-Enzyme produzieren, welche freie Radikale neutralisieren und schädliche Substanzen entgiften. Diese Eigenschaften machen Sulforaphan zu einem interessanten Kandidaten in der Krebsprävention.

Epidemiologische Hinweise und präklinische Daten

Beobachtungsstudien zeigen, dass Menschen mit hoher Aufnahme von Kreuzblütlern ein signifikant geringeres Risiko für bestimmte Krebsarten – insbesondere Prostata-, Brust- und Kolonkarzinome – aufweisen. So berichten Meta-Analysen von einer inversen Korrelation zwischen Brokkolikonsum und dem Auftreten hormonabhängiger Tumoren (Liu et al., 2018, Front. Oncol.).

In vitro- und Tiermodelle belegen zudem vielfältige Wirkmechanismen: Sulforaphan hemmt Zellproliferation, fördert Apoptose, unterdrückt Tumorstammzellen und beeinflusst epigenetische Regulationen. Es greift gleich an mehreren Stellen in die Krebsentwicklung ein – von der Initiation bis zur Progression. Das macht den Wirkstoff zu einem vielversprechenden Forschungsfeld in der integrativen Onkologie.

Klinische Studienlage: Erste Ergebnisse beim Menschen

Obwohl die meisten Erkenntnisse aus präklinischen Studien stammen, gibt es mittlerweile auch erste kontrollierte Studien am Menschen. Besonders im Fokus stehen Patienten mit Prostatakarzinom, da diese Krebsform gut für biochemische Marker wie das prostataspezifische Antigen (PSA) zugänglich ist.

Eine randomisierte Doppelblindstudie aus den USA (Alumkal et al., 2015, Cancer Prev Res) zeigte, dass Patienten, die über mehrere Monate täglich ein standardisiertes Sulforaphanpräparat einnahmen, eine signifikante Verlängerung der PSA-Verdopplungszeit aufwiesen. Dies deutet auf eine verlangsamte Tumorprogression hin – bei gleichzeitig guter Verträglichkeit. Auch kleinere Pilotstudien zur Brust- und Pankreaskrebsprävention liefern erste vielversprechende Daten, wobei größere klinische Studien noch ausstehen.

Molekulare Wirkmechanismen: Wie Sulforaphan auf Zellebene wirkt

Die wissenschaftliche Attraktivität von Sulforaphan liegt in seinem multimodalen Wirkansatz: Es wirkt nicht nur als Antioxidans, sondern beeinflusst eine Vielzahl zellulärer Signalwege, die in der Tumorbiologie eine Rolle spielen.

Zentral ist dabei die Aktivierung des Nrf2-Pathways, der die Expression von Phase-II-Entgiftungsenzymen wie Glutathion-S-Transferasen (GST), NAD(P)H: Chinon-Oxidoreduktase 1 (NQO1) und Hämoxygenase-1 (HO-1) stimuliert. Diese Enzyme schützen Zellen vor oxidativem Stress, einem zentralen Faktor bei Tumorentstehung und -progression.

Gleichzeitig hemmt Sulforaphan den pro-inflammatorischen NF-κB-Signalweg, der bei vielen Krebsarten eine Rolle bei Zellüberleben, Proliferation und Metastasierung spielt. Studien zeigen, dass Sulforaphan die Expression von COX-2, iNOS und TNF-α unterdrückt – allesamt entzündungsfördernde Mediatoren mit karzinogener Potenz (Zhang et al., 2007, Carcinogenesis).

Einfluss auf Epigenetik und Tumorstammzellen

Ein weiterer, hochaktueller Forschungsbereich ist der Einfluss von Sulforaphan auf die epigenetische Regulation. Es wirkt als HDAC-Hemmer (Histon-Deacetylase), was zu einer Reaktivierung tumorunterdrückender Gene führen kann. Besonders bemerkenswert: Diese Wirkung tritt bevorzugt in Tumorzellen auf, während gesunde Zellen weitgehend unbeeinflusst bleiben.

Zudem existieren Hinweise, dass Sulforaphan gegen sogenannte Tumorstammzellen wirksam ist – eine Zellpopulation, die mit Therapieresistenz und Rezidiven in Verbindung gebracht wird. In einem präklinischen Modell zeigte sich bei Pankreastumorzellen eine erhöhte Sensibilität gegenüber Chemotherapeutika, wenn Sulforaphan vorab appliziert wurde (Kallifatidis et al., 2009, Cancer Res.).

Praktische Anwendung: Bioverfügbarkeit und Dosierung

Ein zentrales Thema bei der Anwendung von Sulforaphan ist seine Bioverfügbarkeit – also die Menge, die nach der Einnahme tatsächlich im Körper ankommt. Sulforaphan selbst ist ein kleines, lipophiles Molekül, das grundsätzlich gut absorbiert wird. Entscheidend ist jedoch, ob es in freier Form oder als Vorstufe Glucoraphanin aufgenommen wird. Studien zeigen, dass freies Sulforaphan deutlich schneller und effizienter bioverfügbar ist als Glucoraphanin ohne aktive Myrosinase (Clarke et al., 2011, Pharmaceut Res).

Formulierungen, die aktives Sulforaphan enthalten oder enzymatisch aktiviertes Glucoraphanin bereitstellen, sind daher für medizinisch motivierte Anwendungen vorzuziehen. In Vergleichsstudien zeigte sich, dass entsprechende Produkte deutlich höhere Plasmaspiegel und eine konsistentere Wirkung erzielen – insbesondere in Interventionsstudien zur Chemoprävention.

Empfohlene Dosierung und Sicherheit

Für präventive Zwecke wird eine tägliche Sulforaphanmenge von etwa 20–40 mg empfohlen. Bei klinischen Fragestellungen – etwa in onkologischer Begleitung – orientieren sich Protokolle an Dosen von 0,3 bis 0,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht. Eine Dosis von 60–90 mg Sulforaphan pro Tag gilt laut mehreren Studien als sicher und gut verträglich (Fahey et al., 2015, Clinical Pharmacokinetics).

Nebenwirkungen sind selten und meist mild, etwa in Form leichter Magenbeschwerden oder Flatulenzen. Wechselwirkungen mit Medikamenten sind bislang nicht dokumentiert, sollten aber bei Polypharmazie stets mit ärztlicher Begleitung abgeklärt werden. Die WHO sowie die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) bewerten Sulforaphan und verwandte Isothiocyanate als sicher in der Anwendung innerhalb der empfohlenen Mengenbereiche.

Sulforaphan in der Ernährung: Reicht Brokkoli allein?

Zur Verdeutlichung: Um auf 30 mg aktives Sulforaphan zu kommen, müssten täglich etwa 500–700 g roher Brokkoli mit optimaler Enzymaktivität konsumiert werden – was in der Praxis kaum umsetzbar ist. Gegarte Zubereitung reduziert den Gehalt zusätzlich, da Hitze die Myrosinase deaktiviert.

Einige Keimsprossen wie Brokkoli- oder Senfsaat liefern deutlich höhere Glucoraphaningehalt – allerdings nur unter idealen Anbaubedingungen und bei rohköstlicher Verwendung. Daher bieten sich standardisierte Nahrungsergänzungsmittel mit aktiviertem Sulforaphan an, um eine definierte und wissenschaftlich fundierte Aufnahme zu gewährleisten.

Fazit: Ernährung plus gezielte Ergänzung – ein realistischer Ansatz

Die wissenschaftliche Evidenz für Sulforaphan als potenten Bestandteil einer präventiven oder ergänzenden Krebstherapie wächst kontinuierlich. Seine Fähigkeit, zentrale Schutzmechanismen der Zelle zu aktivieren, Entzündungsprozesse zu hemmen, genetische Programme zu regulieren und Tumorstammzellen zu beeinflussen, macht ihn zu einem herausragenden Kandidaten der integrativen Onkologie.

Allerdings zeigt die Forschung auch: Die für präventive oder therapeutische Effekte erforderlichen Mengen sind mit dem Verzehr von Brokkoli allein kaum zu erreichen. Durchschnittlich enthält 100 g roher Brokkoli etwa 44 mg Glucoraphanin – daraus entstehen, abhängig von Myrosinase-Aktivität und Darmflora, lediglich rund 4–8 mg aktives Sulforaphan. Für klinisch relevante Effekte werden jedoch meist 20–40 mg täglich eingesetzt.

Quellen

  • Liu RH et al. (2018): Cruciferous vegetable intake and hormone-related cancers. Front Oncol. 8:225.
  • Zhang Y et al. (2007): Suppression of NF-κB and inflammation by Sulforaphane. Carcinogenesis 28(4):849–857.
  • Kallifatidis G et al. (2009): Sulforaphane targets pancreatic cancer stem cells. Cancer Res. 69(17):7083–7091.
  • Alumkal JJ et al. (2015): Sulforaphane treatment in men with recurrent prostate cancer. Cancer Prev Res. 8(8):712–719.
  • Clarke JD et al. (2011): Bioavailability of sulforaphane and its impact on pharmacokinetics. Pharmaceut Res 28(12):3171–3179.
  • Fahey JW et al. (2015): Clinical pharmacokinetics and tolerability of sulforaphane. Clin Pharmacol 7:71–79.
  • WHO/EFSA (2013): Safety assessment of isothiocyanates and related compounds. EFSA Journal 11(5):3252.
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Denise Lindgret